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Länder-CIOs richten klare Forderungen an künftige Bundesregierung / Gerlach und Alkassar: Bund muss das digitalpolitische Tempo hochhalten

29. Oktober 2021

Die deutschen Bundesländer richten klare, digitalpolitischen Forderungen an die künftige Bundesregierung. Bei einem Treffen des IT-Planungsrates in Hamburg beschlossen die Chief Information Officer (CIO) der Länder einen Maßnahmenkatalog. Er enthält unter anderem Forderungen nach der schnellen Bereitstellung einer souveränen Verwaltungscloud, der nutzerorientierten Weiterentwicklung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) sowie einer Fortsetzung der Finanzierung der OZG-Umsetzung. Die Bayerische Staatsministerin für Digitales, Judith Gerlach, und der saarländische Bevollmächtigte für Innovation und Strategie, Ammar Alkassar, betonten, dass die neue Bundesregierung bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung das Tempo hochhalten müsse.

Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach erklärte: „Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung muss eine der zentralen Aufgaben der künftigen Bundesregierung werden. Papierakten und Stempelkissen gehören ins Museum. Stattdessen brauchen wir durchgängig digitale Verwaltungsprozesse. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger zu Recht von einem modernen Staat. Mehr Nutzerorientierung für bürgernahen Service und mehr Unterstützung für unsere Kommunen sind das Gebot der Stunde. Daran muss sich auch die zukünftige Bundesregierung orientieren.“

Der Bevollmächtigte des Saarlandes für Innovation und Strategie, Ammar Alkassar, betonte: „Wichtig ist, dass eine zukünftige Bundesregierung die bisherigen Anstrengungen, die sich bewährt haben, mit hohem Tempo fortführt und gleichzeitig weiterentwickelt. Das gilt sowohl für die weitere Finanzierung der Verwaltungsdigitalisierung nach 2022, die von Ländern und Kommunen alleine nicht zu stemmen ist, aber auch für mutige Weiterentwicklungen wie standardisierte Plattformen und eine Ende-zu-Ende Digitalisierung ohne Medienbrüche. Und man muss den Föderalismus pragmatisch weiterdenken: Warum muss bei einer Auftragsverwaltung für den Bund jedes Land eine eigene Software stricken? Wäre es nicht einfacher, wenn bei einem neuen Verfahren, das der Bund einführt, dieser gleich auch das IT-System zentral bereitstellt?"

Hier das ausführliche Positionspapier:

CIOs der Länder: Forderungen an eine zukünftige Bundesregierung

  1. Die schnelle Bereitstellung einer digitalen, souveränen Verwaltungscloud gemäß den strategischen Rahmenbedingungen des IT-Planungsrates sowie gemäß Schreiben der Länder-CIOs an den Bund vom 15. Oktober, gehört zu den vordringlichen Aufgaben der Bund-Länder-Zusammenarbeit. Gemeinsam mit den Ländern wird der Bund zu Beginn der Legislaturperiode rasch und vordringlich die erforderlichen Schritte einleiten, um eine gemeinsame, nationale Verwaltungscloud-Strategie umzusetzen, die dem Bund, den Ländern und deren Kommunen zur Verfügung steht.Dieses Ziel ist nur mit einer Multi-Cloud-Strategie zu erreichen: Diesbezüglich bedarf es der Definition von klaren Standards, unter denen neben öffentlich-rechtlichen Cloud-Anbietern auch vertrauenswürdige private Cloud-Anbieter und Hyperscaler, soweit sie von den Public-Clouds getrennte Cloud(s) für die Öffentliche Verwaltung anbieten, teilnehmen können. Grundlage muss hierbei die Wahrung von digitaler Souveränität, Informationssicherheit und Datenschutz sein. Die digitale Souveränität der Verwaltung muss durch die Vermeidung von Lock-In-Effekten bei Anwendungen und Zugriff auf Daten gewährleistet sein. Die Mechanismen von Markt und Wettbewerb sind dabei wichtige Garanten für eine nachhaltige Nutzersouveränität.Eine nationale Multi-Cloud-Strategie muss darüber hinaus aber auch eine gezielte Förderung beinhalten, die es alternativen Anbieter aus Deutschland ermöglicht, nachhaltige, wettbewerbsfähige Angebote an Cloud-basierten Anwendungen zu entwickeln und anzubieten. Dabei kann der Einsatz von quelloffenen Softwarebausteinen helfen, rasch solche Angebote zu schaffen, die die wirtschaftliche wie technologische Abhängigkeit von großen Softwareherstellern reduzieren. Eine solche Förderung muss zielgerichtet auf wenige Anwendungen fokussieren und über eine kritische Masse verfügen. Hierzu dürfte ein Betrag in mindestens mittlerer dreistelliger Millionenhöhe erforderlich sein. Der Nutzung einer solchen souveränen Verwaltungscloud bei öffentlich-rechtlichen Cloud-Anbietern sollte dann auf Kundenseite Vorrang gegeben werden, soweit damit die erforderlichen Funktionen realisierbar sind.
  2. Die nutzerorientierte Weiterentwicklung des OZG gehört jetzt auf die Tagesordnung. Dabei gilt es aus den Erfahrungen der bisherigen Umsetzung zu lernen und bei Planung und Steuerung des Weiteren OZG-Prozesses nachzujustieren. Insbesondere muss eine Priorisierung der Verwaltungsdienstleistungen sowie eine Fortschreibung der bisherigen Finanzierungsüberlegungen erfolgen. Darüber hinaus gilt: Die Digitalisierung der Verwaltungsdienstleistungen endet nicht mit dem Erreichen der Fristsetzung durch das Onlinezugangsgesetz. Auch nach dem 1. Januar 2023 müssen daher die KP-Mittel (3 Milliarden Euro) des Bundes zur Verfügung bis zur vollständigen Digitalisierung der Verwaltungsangebote zur Verfügung stehen.Dabei muss in der kommenden Phase der Schwerpunkt auf der durchgängigen Ende-zu-Ende-Digitalisierung und Automatisierung von Verwaltungsverfahren sein: Ohne Medienbruch und auf möglichst wenigen standardisierten Plattformen, auf denen Anträge nicht nur online angenommen, sondern auch bis zur Bescheidung abgewickelt werden können. Die bestehenden Fachverfahren müssen in eine solche Architektur eingebunden werden. Auch für die Realisierung der Fachverfahren muss das Einer für Alle (EfA)-Prinzip grundsätzlich gelten. Dabei müssen Automatisierung und KI-Verfahren gezielt gefördert werden. Nur so können auch nachhaltige Digitalisierungsrenditen ermöglicht werden.
  3. Nur durch die – ergänzend zu den Mitteln der Länder erfolgte – Bereitstellung von Mitteln im Zusammenhang mit den pandemie-bedingten Konjunkturpaketen durch den Bund im vergangenen Jahr konnten bei der OZG-Umsetzung erhebliche Fortschritte möglich gemacht werden. Dies zeigt deutlich: Die weitere Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung wird auch noch in diesem Jahrzehnt gemeinsame Anstrengungen auf einem ähnlich hohen Niveau erfordern. Ohne eine solche, verbleibt die einmütig geforderte Digitalisierung und Staatsmodernisierung in Deutschland eine Worthülse, die in der Verantwortung der CIOs alleine nicht zu erreichen ist.Daher fordern wir den Bund auf, sicherzustellen, dass die bereits eingeplanten Mittel aus seinem Konjunkturpaket ohne zeitliche Limitierung weitergenutzt werden können und gemeinsam mit den Ländern ein finanzielles Anschlusspaket aufzusetzen um die vorgenommenen Ziele nachhaltig zu erreichen.
  4. Die technische Standardisierung von Verwaltungsdienstleistungen muss weiter vorangetrieben werden. Die derzeitige Umsetzung des OZG erfolgt auf Basis vieler individueller Einzellösungen. Für einen wirtschaftlich und technologisch nachhaltigen Ansatz ist eine weitere Standardisierung erforderlich. Nur so kann eine Zersplitterung sowie eine nicht mehr handhabbare Komplexität vermieden werden und langfristig ein echter Wettbewerb der Angebote entstehen.
    Eine ausreichend personell ausgestattete FITKO/KOSIT müssen im Einvernehmen mit Bund und Ländern ein einheitliches, übergreifendes Standard-Regime für Daten und Schnittstellen schaffen und gegebenenfalls gesetzlich verankern; Voraussetzung für ein erfolgreiches Gelingen ist eine grundsätzliche Überarbeitung der Governance der FITKO.
  5. Mehr übergreifende Umsetzung: Bundesgesetze und -verordnungen, deren Anwendung und Umsetzung organisatorische oder rechtliche Auswirkungen auf die digitalen Verwaltungsleistungen der Länder und Kommunen haben, werden nur noch auf den Weg gebracht, wenn diesen hierzu bereits geeignete zentrale IT-Fachverfahren zur Verfügung stehen oder zugleich mit dem jeweiligen Vorhaben zur Verfügung gestellt werden.
  6. Die vertrags- und vergaberechtlichen Grundlagen der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen müssen im Zuge der Verwaltungsdigitalisierung vereinfacht werden. Hierfür kann die vom IT-Planungsrat verfolgte Ansatz mit GovDigital eine wichtige Rolle spielen. Ein Hemmnis für die schnelle Verwaltungsdigitalisierung liegt im Aufwand und der Kompliziertheit des Vergabewesens. Dies gilt sowohl für die Beschaffung von Informationstechnik als auch für individuelle Lösungen zur Umsetzung des OZG und die Realisierung des EfA-Prinzips.Ferner sollte das „Einer-für-Alle-Prinzip“ für flächendeckende Nutzung bei Fachverfahren weiterentwickelt werden: Das Modell EfA birgt bei der Anwendung auf Fachverfahren der Verwaltung hohe Effizienz- und Vereinfachungspotentiale bei der durchgängigen Digitalisierung. Es wird an geeigneten Verwaltungsaufgaben erprobt, bei denen aufgrund bundes- oder europarechtlicher Vorgaben ein hoher Gleichheitsgrad der Rechtsanwendung besteht.Der Bund strebt daher entsprechend dem Vorschlag des Normenkontrollrates an, die vertrags- und vergaberechtlichen Aspekte im Zusammenhang mit der Verwaltungsdigitalisierung massiv zu vereinfachen. Ziel muss es unter anderem sein, dass EfA-Leistungen zwischen Bundesländern über Inhouse-Strukturen vergaberechtskonform ohne Ausschreibung weitergegeben werden können. Bisherige Strukturen (FIT-Store) können dabei genutzt und durch neue Inhouse-Modelle ergänzt werden Zu Grunde liegt die Idee einer Inhouse-Beschaffung von Leistungen öffentlicher IT-Dienstleister, bei der aller Abrufberechtigten einschließlich der Kommunen eigene Leistungen einbringen können und zugleich Zugriff auf bereits entwickelte Leistungen haben. Der Austausch der Leistungen muss dabei durch automatisierte Prozesse und vereinheitliche Vertragsbestimmungen gestützt werden. Bund und Länder schaffen die Voraussetzungen, dass die Kommunen einen direkten, unmittelbaren Zugriff auf die angebotenen EfA-Leistungen erhalten, denn sie sind es, die den überwiegenden Teil der onlinefähigen Verwaltungsdienstleistungen direkt gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern erbringen.

    Darüber hinaus müssen die Strukturen und Prinzipien der OZG Umsetzung konsequent fortentwickelt werden. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme soll es nicht um ein “weiter so”, sondern um ein “besser als bisher” gehen. Das EfA Prinzip muss so weiterentwickelt werden, dass die OZG Umsetzung tatsächlich die Fläche und sämtliche Verwaltungsebenen inklusive der kommunalen Ebene erreicht. Das Themenfeldmodell muss effektiver gestaltet, der Mittelabfluss aus dem Konjunkturprogramm beschleunigt und eine dauerhafte Finanzierung der Umsetzung in den Ländern sichergestellt werden.

  7. Die Digitalisierung der Verwaltung findet auf allen Ebenen vom Bund über die Länder bis in die kleinste Kommune statt. Insbesondere die Kommunen sind in vielen Fällen aufgrund ihrer personellen Struktur nicht in der Lage, die ihnen im Vollzug zukommenden Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises zu digitalisieren. Deshalb benötigen sie die Unterstützung von Bund und Ländern. Der Bund ist hier aufgerufen, über ein gemeinsames Förderprogramm mit den Ländern die Kommunen bei der Digitalisierung ihrer Verwaltungen zu unterstützen.
  8. Die aktuellen Studien zum Stand des E-Government in Deutschland belegen, dass es einen großen Informationsbedarf der Nutzenden hinsichtlich des Angebotes und der technischen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme elektronischer Verwaltungsleistungen gibt. So haben weiterhin viele Nutzende keine Kenntnis davon, wofür die Online-Ausweisfunktion genutzt werden kann und wie dies erfolgt. Bund und Länder sind deshalb gleichermaßen gefordert mit einer konzertierten Kommunikationsoffensive für die Nutzung von E-Government zu werben. Dem Bund kommt dabei im Hinblick auf die Bereitstellung zentraler Basiskomponenten eine bedeutende Rolle zu.
  9. Mit der Registermodernisierung und der SDG-Umsetzung stehen die nächste große Herausforderung bei der Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung in Deutschland an. In Analogie zur Umsetzung des OZG und aufbauend auf den dabei gemachten Erfahrungen („Lessons Learned“) bedarf es einer abgestimmten Steuerung und einer gesicherten Finanzierung (geschätzt werden 2,9 Milliarden Euro) durch den Bund, um diesen Kraftakt gemeinsam zu stemmen.